Die Straßenbahn in Paderborn (1900–1963)
Von 1900 bis 1963 Jahren fuhr in Paderborn eine Straßenbahn. Viele wünschen sie sich heute zurück, für andere ist sie ein nostalgisches Relikt der Vergangenheit. Wir blicken zurück auf die Geschichte der Straßenbahn in Paderborn.
Von der Pferdebahn zur Straßenbahn
Die Idee, eine Straßenbahn in Paderborn fahren zu lassen, gab es schon im 19. Jahrhundert. Zunächst wurde in den 1880er Jahren eine Pferdebahn zwischen Paderborn und dem heutigen Bielefelder Stadtteil Senne eingeführt, die aber schon nach kurzer Zeit wieder eingestellt wurde. Auch die Pläne, eine Straßenbahn zwischen Paderborn und Schloss Neuhaus sowie Sennelager zu bauen, scheiterte mehrfach an den Einsprüchen der Westfälischen Landeseisenbahn.
1900: Die erste Straßenbahn fährt in Paderborn
Erst im Jahr 1899 konnte die Konzession zum Bau einer Überlandstraßenbahn zwischen der Paderborner Innenstadt und Neuhaus durchgesetzt werden. Die Konzession hielt der Bochumer Kaufmann C. Fricke, der sie schließlich an die Westfälische Kleinbahnen AG aus Bochum übertrug. Diese betrieb die konzessionierte Strecke ab 1900 und verlängerte sie in den darauffolgenden Jahren zunächst bis zum Truppenübungsplatz Sennelager im Norden Paderborns. Um 1900 fuhr also bereits mit der Linie 1 die erste Straßenbahn von Paderborn nach Neuhaus.
Die erste Straßenbahnlinie in Paderborn nach Neuhaus um 1900. | Foto: (c) Stadtarchiv Paderborn / PESAG
Gründung der PESAG mit 1,2 Millionen Mark
1906 übernahm das „Rheinisch-Westfälische Elektrizitätswerk“ (RWE) das Netz, bevor es schließlich am 9. Januar 1909 zur Gründung der PESAG kam, deren Anteilseigner RWE in Essen und die Stadt Paderborn waren: Die Paderborner Elektrizitätswerke und Straßenbahn AG (PESAG) startete mit einem Aktienkapital von rund 1,2 Millionen Mark — teilweise bereitgestellt von der Stadt Paderborn. Ihr Einzugsgebiet erstreckte sich bis Bloomberg, Detmold und Horn-Bad-Meinberg. Sie übernahm alle zu diesem Zeitpunkt aktiven Straßenbahnlinien im Stadtgebiet von Paderborn, stellte das Netz auf 800 Volt-Spannung um und begann bereits ein Jahr später mit dem Ausbau des Streckennetzes, das sich in seiner Blütezeit bis nach Sennelager und Detmold erstreckte.
PESAG baut Straßenbahn-Netz aus
Die PESAG baute im Jahr nach ihrer Gründung am 1. Dezember 1910 eine erste Verlängerung des Straßenbahnnetzes: Eine drei Kilometer lange Strecke zwischen Hauptbahnhof, Rathaus und Nordbahnhof, auf der die ersten Straßenbahn-Wagen durch die winterlichen Straßen Paderborns rollten. Am Tegelweg hatten die beiden Anteilseigner der PESAG — RWE und die Stadt Paderborn — ein Verwaltungsgebäude, ein Dampfkraftwerk zur Erzeugung von Elektrizität und eine Wagenhalle erbaut. In diesem Straßenbahndepot wurden die Waggons gewartet und untergestellt.
Das Straßenbahndepot in Paderborn
Das Gebäude des Straßenbahndepots überdauerte zwei Weltkriege, wurde nach der Einstellung der Straßenbahnen 1963 zum Busdepot umfunktioniert und diente ab 1975 — nachdem man einen eigenen Omnibus-Betriebshof gebaut hatte — einer Düngemittel-Firma als Lagerhalle. 1985 wurde das Gebäude als technisches Kulturdenkmal eingestuft und 1994 an einen privaten Investor mit Nutzung als Markthalle verkauft. Damit einher ging auch die Restaurierung aller noch erhaltener Original-Bauteile und die Rekonstruktion des ursprünglichen Zustands nach Fotografien. Heute beherbergt das ehemalige Straßenbahndepot einen Combi-Supermarkt (früher MiniPreis) nebst Bäcker direkt am Paderborner Nordbahnhof. Die PESAG ging währenddessen Mitte 2003 im Rahmen einer Fusion in der E.ON Westfalen Weser auf.
Das Straßenbahndepot in Paderborn ist gut erhalten. Heute beherbergt es am Rolandsweg 111 einen Supermarkt.
Eine Informationstafel der Stadt Paderborn erinnert an der Ecke Rolandsweg/Tegelweg an das historische Straßenbahndepot.
Mit der Straßenbahn zwischen den Externsteinen hindurch
Dank der geschickten Verhandlungsführung von PESAG-Direktor Wilhelm August von Tippelskirch gelang der Straßenbahn ein rascher Vorstoß ins Paderborner Umland. Besondere Leistungen vollbrachten die Ingenieure bei der Durchquerung des Egge-Gebirges, durch das heute die B1 auf einer kurvigen Strecke verläuft. Hier war die Überwindung von 140 Höhenmetern auf einer Streckenlänge von dreieinhalb Kilometern notwendig. Die Streckenführung der Linie zwei verlief von Paderborn zunächst durch unzugängliche Waldgebiete und wurde über Schlangen, Kohlstädt und die Externsteine bis Horn geführt. Besonders schön: Hier fuhr die Straßenbahn sogar zwischen den Externsteinen hindurch.
Die Straßenbahn fährt zwischen den Externsteinen hindurch. Bild: Kreisarchiv Lippe, K 6 Dias Nr. 1994
Entwicklung der Straßenbahn-Linien Paderborn / Detmold
Hier bekommst du eine tabellarische Übersicht der Entwicklungen, Änderungen und Stilllegungen der Straßenbahnlinien Paderborn/Detmold.
Linie 1Paderborn – Schloss Neuhaus |
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Datum | Einführung, Änderung und Stilllegung |
30.08.1900 | Einführung der Straßenbahnlinie |
16.05.1901 | Verlängerung der Strecke nach Sennelager |
27.09.1963 | Umstellung der Linie auf Omnibusbetrieb |
Linie 2Paderborn – Marienloh – Bad Lippspringe – Schlangen |
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Datum | Einführung, Änderung und Stilllegung |
08.04.1911 | Einführung der Straßenbahnlinie |
31.03.1912 | Verlängerung der Strecke nach Horn über Externsteine |
??.??.192? | Verlängerung der Strecke nach Detmold Bahnhof |
??.??.1941 | Einstellung des Streckenabschnitts durch die Externsteine, somit existierten zwei Strecken der Linie 2: Paderborn – Schlangen und Horn – Detmold |
17.03.1953 | Umstellung des Streckenabschnitts Horn – Schlangen auf Omnibusbetrieb |
24.05.1954 | Umstellung des Streckenabschnitts Horn – Detmold auf Omnibusbetrieb |
Linie 3Detmold – Hiddesen |
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Datum | Einführung, Änderung und Stilllegung |
01.03.1900 (?) | Einführung der Straßenbahnlinie |
15.08.1954 | Umstellung der Linie auf Omnibusbetrieb |
Linie 4Detmold – Berlebeck – Hotel Johannaburg |
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Datum | Einführung, Änderung und Stilllegung |
01.03.1900 (?) | Einführung der Straßenbahnlinie |
??.??.1942 | Einstellung des Streckenabschnitts Berlebeck – Hotel Johannaburg |
15.08.1954 | Umstellung der Linie auf Omnibusbetrieb |
Linie 5Detmold – Horn – Bad Meinberg |
|
Datum | Einführung, Änderung und Stilllegung |
??.??.19?? | Einführung der Straßenbahnlinie |
??.??.192? | Einstellung des Streckenabschnitts Detmold – Horn |
??.??.1958 | Umstellung der Linie auf Omnibusbetrieb |
Linie 6Paderborn – Elsen |
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Datum | Einführung, Änderung und Stilllegung |
01.03.1913 | Einführung der Straßenbahnlinie |
??.??.1958 | Umstellung der Linie auf Omnibusbetrieb |
Linie 7Horn – Bad Meinberg |
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Datum | Einführung, Änderung und Stilllegung |
23.07.1924 | Einführung der Straßenbahnlinie |
11.09.1926 | Verlängerung der Strecke nach Blomberg, Molkerei |
30.11.1926 | Verlängerung der Strecke nach Blomberg, Markt |
03.09.1951 | Umstellung der Linie auf Omnibusbetrieb |
Linie 8Detmold – Heidenoldendorf |
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Datum | Einführung, Änderung und Stillegung |
16.10.1926 | Einführung der Straßenbahnlinie |
18.06.1928 | Verlängerung der Strecke nach Pivitsheide |
08.06.1954 | Umstellung der Linie auf Omnibusbetrieb |
Mehr als eine Millionen Fahrgäste
Nachdem die PESAG während des ersten Weltkriegs damit begann, die Lippischen Elektrizitätswerke aufzukaufen, verleibte sie sich bis 1922 deren Detmolder Straßenbahnnetz ein. Inzwischen war ihr jährliches Fahrgastaufkommen von etwa 578.000 im Jahr 1911 auf 1,16 Millionen im Jahr 1917 geklettert. In den Folgejahren fuhr die Straßenbahn bis Blomberg und Horn–Bad Meinberg, wo sie mit den Linien aus Detmold zusammentraf. In den frühen 1930ern stand die Straßenbahn im Paderborner Land in höchster Blüte. Das Schienennetz erstreckte sich auf einer Gesamtlänge von knapp 130 km auf 12 Linien. Auf den Überlandlinien fuhren die Bahnen jede Stunde, im Paderborner Stadtgebiet sogar halbstündlich.
Schwerster Straßenbahn-Unfall der PESAG mit vier Toten
Am 09.12.1946 ereignete sich der schwerste Unfall der PESAG-Straßenbahnen auf der Strecke Horn-Bad Meinberg. Dabei kamen vier Menschen ums Leben, 15 wurden schwer und 30 leicht verletzt. Die völlig überfüllte Straßenbahn fuhr um 16:55 Uhr in Horn ab und sollte gegen 17:10 Uhr an der Endstation im Bad Meinberger Kurpark ankommen.
Bereits am Nachmittag hatte der Straßenbahn-Fahrer auf Probleme mit der Bremse hingewiesen, doch konnte diese nicht behoben werden. Vor der Einfahrt nach Bad Meinberg gab es auf Höhe Kreuzenstein eine Zwangshaltestelle, weil anschließend eine Gefällstrecke in Richtung Allee folgte und dort hinter der Kreuzung mit der Detmolder Straße eine starke Kurve zu durchfahren war.
Da die Probleme mit der Bremse bekannt waren, wurde schon während der Fahrt sogenannter Bremssand gestreut, um die Geschwindigkeit der Bahn zu reduzieren. Allerdings konnte der Sand nicht viel bewirken: Die Straßenbahn fuhr mit stark überhöhtem Tempo an der Zwangshaltestelle vorbei und raste die Abfahrt nach Bad Meinberg hinunter. An der „Dreher“-Kreuzung sprang die Straßenbahn aus den Schienen, prallte gegen eine Kastanie und stürzte auf die linke Seite. Das Oberteil des Wagens wurde dabei vollständig abgerissen.
Herbeigeeilte britische Besatzungssoldaten leisteten vor Ort Erste Hilfe und brachten die Verletzten mit ihren Sanitätsfahrzeugen in das Detmolder Krankenhaus. Für einige kam jedoch jede Hilfe zu spät: Eine Frau verlor bei dem Unfall beide Beine und starb auf dem Weg ins Krankenhaus. Auch die Schaffnerin verlor ihr Leben, während der Fahrer mit leichten Verletzungen davon kam.
Rückzug auf Raten
Das Schienenzeitalter in der Innenstadt Paderborns währte allerdings nur kurz: Bereits Mitte der 1930er Jahre begann der Autobus die Straßenbahn langsam zu verdrängen. Im März 1925 kam es unter maßgeblicher Beteiligung der PESAG zur Gründung der „Kraftverkehrs-AG Wittekind“. 1934 übernahm die PESAG den Omnibusverkehr allein. Eine erste Folge daraus war, dass 1936 die Linie 7 Horn–Bad Meinberg auf Busse umgestellt wurde. Die Strecke durch die Externsteine sollte diesem Beispiel folgen, verblieb aber zunächst auf einem eigenen Gleis neben der verlegten Reichsstraße Eins. Schon 1939 erwogen die Paderborner Verantwortlichen das Ende der Bahn. Busse sollten stattdessen fahren, doch der ausbrechende Zweite Weltkrieg stoppte zunächst alle weiteren Umbaupläne.
Autos und Busse verdrängen die Straßenbahn in Paderborn
Nach Kriegsende und Wiederaufbau fand sich Deutschland mit veränderten verkehrstechnischen Bedingungen konfrontiert. Immer mehr Autos drängten auf die Straßen, deren Fahrer nach autofreundlicheren Städten riefen. Da störte offenbar die Bahn mit ihren oft parallel zur Straße verlaufenden Gleisen. Die Unfälle häuften sich, die Schienen sollten verlegt werden. Zudem war das rollende Material inzwischen stark veraltet. Eine massive Modernisierungskampagne wäre nötig geworden — Investitionen, welche die PESAG nicht tätigen wollte und konnte. So wurde der schrittweise Rückzug der Straßenbahn eingeleitet.
Nachdem 1963 die letzte Straßenbahn in Paderborn fuhr, wurden die Straßenbahnschienen entfernt — hier am Kamp 1970. (c) Foto: PaderSprinter Bildarchiv
Nach der Umstellung der Strecke Horn–Bad Meinberg auf Busse, folgte 1953 die Verbindung nach Schlangen. Das einst gemeinsame Netz zerfiel wieder in ein Paderborner und ein Detmolder Teilnetz. Im Straßenbahndepot am Tegelweg standen seit den 1950ern nun auch vermehrt Busse. Die übrigen Überlandlinien gingen an den neuen BahnBus der Bundesbahn, sodass ab 1958 nur noch die Linie 1 Paderborn–Neuhaus verblieb, deren Stilllegung jedoch fünf Jahre später ebenfalls erfolgte. Die letzte Straßenbahn auf dieser Strecke fuhr am 27. September 1963 vom Paderborner Hauptbahnhof nach Schloß Neuhaus, ehe die Straßenbahn vollständig durch Buslinien in Paderborn ersetzt wurde.
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